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Same same but different

Wenn im Juni 2018 die aktuell vierte Generation der von der Global Reporting Initiative (GRI) herausgegebenen Richtlinien für Nachhaltigkeitsberichterstattung ihre Gültigkeit verliert, wird die Trauergemeinde überschaubar bleiben. Deren Einführung 2013 war schon von erheblichem Unmut begleitet. Hatte man in den Jahren zuvor erst mit großen Mühen die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf die Anforderungen von G3 ausgerichtet, stellte G4 die Berichterstattungsprozesse vor erhebliche neue Herausforderungen in punkto Detailtiefe und Stakeholderorientierung. Mit dem Wegfall der Anwendungsstufen (application levels) entfiel außerdem ein wichtiger Anreiz, der es Unternehmen ermöglichte, sich mit ihrer Reportingleistung zu profilieren. „Die gesteigerte Komplexität der Berichterstattung nach GRI G4 wird neue Unternehmen eher davor abschrecken als sie ermuntern, Nachhaltigkeitsinformationen zu veröffentlichen“, warnte seinerzeit econsense in einer Stellungnahme. Die Zurückhaltung der Unternehmen sollte diese Einschätzung bestätigen. Erst 2015 überstieg die Zahl der G4-Berichte die bis dahin noch an G3 orientierten Berichte. Und dabei fällt auf, dass die große Mehrheit der Unternehmen sich darauf beschränkte, nach der neuen Übereinstimmungsoption „Core“ zu berichten und sich noch nicht an das aufwändigere Level „Comprehensive“ herantraute.

Die neuen Standards

Jetzt also die „GRI Sustainability Standards“. Man darf feststellen, dass das Global Sustainability Standards Board (GSSB), also das Gremium bei GRI, das ein Jahr lang damit beschäftigt war, den neuen Standard zwischen den vielfältigen Anspruchsgruppen zu verhandeln, seine Hausaufgaben gemacht hat. Das GSSB hat es ziemlich gut hinbekommen, die Guidelines in eine neue Form und Anwendungspraxis zu überführen, ohne sich der wesentlichen inhaltlichen Anforderungen von G4 zu entledigen. Als Mitglied der internationalen GRI Standards Pioneers Group haben wir zudem aktiv die Einführung der neuen Standards begleitet.

Mit den Standards erreichen die Nachhaltigkeitsrichtlinien der GRI einen Grad souveräner Reife im Corporate Reporting. Keine Abhaklisten mehr, kein „Malen nach Zahlen“, mit dem im Jahresrhythmus eine routinierte Pflichtübung für die Wirtschaftsprüfer abgearbeitet wird.

Was hat sich nun geändert? Aus den Guidelines der G4 ist keineswegs G5 geworden. Die „Standards“ basieren auf denselben Prinzipien wie G4. Auch die materiellen Anforderungen haben sich nicht verändert. Was sich aber geändert hat, ist die Struktur und der Umgang mit den Guidelines. Unternehmen, die bereits nach G4 berichten, werden keine Schwierigkeiten haben, die neuen Anforderungen zu erfüllen. Eine kleine neue Hürde gilt es allerdings zu nehmen, aber dazu später.

Die bekannten Inhalte der Reportingrichtlinie wurden in eine Reihe modular gestalteter Standards überführt. So setzt sich das Rahmenwerk nun aus drei allgemeinen und 33 themenspezifischen Standards zusammen. Das neue Format der Standards erlaubt es GRI, einzelne Themen aufgrund sich ändernder Bewertungen und Perspektiven zu aktualisieren, ohne gleich den ganzen Satz von Standards überarbeiten zu müssen.

Die drei universellen Standards – 101 Grundlagen, 102 Allgemeine Angaben und 103 Managementansatz –, sind von jedem Unternehmen anzuwenden, das einen Nachhaltigkeitsbericht erstellt. Zusätzlich wählt das Unternehmen dann die auf Grundlage der vorausgegangenen Materialitätsanalyse relevanten themenspezifischen Standards aus (eine 200er Serie zu wirtschaftlichen Aspekten, eine 300er Serie zu den Umweltaspekten sowie ein 400er Serie zu sozialen Aspekten), um über für das Unternehmen wesentliche Themen zu berichten.

Mit den neuen GRI Standards kann ein Unternehmen weiterhin im Umfang „Core“ oder „Comprehensive“ berichten. Es könnte sich aber für seine Berichterstattungszwecke auch lediglich einzelne themenspezifische Standards heranziehen, um spezifischen Aspekten seiner Berichterstattung wie Treibhausgasemissionen, Wasser- und Energieverbrauch oder Arbeitspraxis eine fundierte und anerkannte Grundlage zu verleihen. Diese Module könnten als „GRI Referenced“ klassifiziert werden. Auch wenn es real kaum vorkommen wird: Aber tatsächlich könnte nun ein Bericht „Core“ sein, der neben den drei universellen Modulen nur ein themenspezifisches Modul erfüllt. Grundsätzlich gilt jedoch: Ein vollwertiger Nachhaltigkeitsbericht nach den GRI Standards ist jedoch ein Bericht, der die Anforderungen der drei allgemeinen Standards einhält sowie die Angaben zu denjenigen Themen enthält, welche für das Verständnis der Nachhaltigkeitsleistung wesentlich (also „material“) sind.

Im Detail erwartet die Berichterstattungsteams eine Reihe von Verbesserungen, die das Reporting rein praktisch vereinfachen. Die klare Straffung von Inhalten vermeidet bestehende Redundanzen und Zerfaserungen von Inhalten bei der redaktionellen Erstellung. Das gleiche gilt für eine Reihe von neuen Content-Präzisierungen (z.B. Berichtsgrenzen, Umgang mit „Off-GRI-Topic“-Themen oder Begriffsdefinitionen). Und schließlich wird der erwartete Umgang mit inhaltlichen Pflichtbestandteilen aber auch Lücken klarer formuliert. Allgemein begrüßt wird die neue Unterscheidung der beizubringenden Informationen nach Pflichtanforderungen („shall“), Empfehlungen („should“) oder „Guidance” (deren Verwendung auch nur optional ist). In jedem Standard erleichtert eine vorangestellte Übersicht die Navigation zwischen den Optionen. Die bisherigen zehn „sector disclosures“ für ausgewählte Branchen sind fortan kein Pflichtbestandteil der Standards mehr, sollen aber als „Orientierung“ Berücksichtigung finden.

Unübersehbar ist dabei das Bestreben von GRI über diesen Ansatz eine bessere Verzahnung mit bestehenden Standards des financial und non-financial Reportings (Integrated Reporting Framework (IIRC), SASB Standards etc.) zu erlangen.

Eine wichtige und möglicherweise sportliche Neuerung erwartet die Berichterstatter bei der Materialitätsanalyse. Wir erinnern uns: Eine Wesentlichkeitsmatrix soll seit G3 die wesentlichen inhaltlichen Handlungsfelder der Nachhaltigkeitspraxis von Organisationen aufzeigen. Dabei werden in einem kartesischen Koordinatensystem die aus Stakeholdersicht wesentlichen Handlungsfelder gegen die aus Unternehmenssicht wesentlichen Handlungsfelder abgetragen. Diese Darstellung hat schon in vielen Unternehmen zu zahlreichen Diskussionen geführt. Mit Fragen wie: „Warum steht der Arbeitsschutz unten links?“ und leider auch einer Unfähigkeit, die Aussage dieser Matrix hinreichend zu plausibilisieren, sah sich vermutlich so mancher Bericht vor einem frühen Aus. Und was machen die GRI Standards? Sie haben die gewünschte Darstellung so modifiziert, dass das Unternehmen nun seine möglichen Wirkungen auf relevante Aspekte seiner Geschäftstätigkeit betrachten muss. Hier muss sich zeigen, wie man in der Praxis damit umgeht. Angesichts der unternehmenspolitischen Sensibilitäten hätte man sich gewünscht, für die Materialitätsbetrachtung eine gänzlich andere Herangehensweise zu formulieren. Hier gilt weiterhin, dass man trefflich darüber diskutieren wird, was wesentlich ist oder nicht.

Es wird sich jetzt zeigen müssen, ob die Standards die Akzeptanz der GRI-Richtlinien unter deutschen Unternehmen verbessern wird oder der Nachhaltigkeitsberichterstattung sogar einen neuen Schub verleihen kann. Der bestimmende Reportingtrend bleibt die Integrierte Berichterstattung – künftig mit Unterstützung der Standards.

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