- Der Akzeptanznavigator: Neues Instrument ermöglicht Frühaufklärung zur sozialen und psychologischen Ausgangslage bei Infrastrukturprojekten zu Erneuerbaren Energien
- Hohe Investitionsrisiken durch Nachlässigkeiten in Kommunikation und Bürgerbeteiligung
- Kampf um Ausbau der erneuerbaren Energien verlagert sich zunehmend in ländliche Regionen
Die Kommunikationsberatung crossrelations brandworks und das Institut für psychologische Markt- und Gesellschaftsforschung, concept m, haben heute ein neues Instrument der projektvorbereitenden Beforschung möglicher gesellschaftlicher Widerstände gegenüber Bauvorhaben für Anlagen zur Erzeugung, Speicherung oder Transport von Strom aus Erneuerbaren Energien vorgestellt. Mit dem „Akzeptanznavigator“ sollen Projektierer, Kommunen und Investoren in die Lage versetzt werden, frühzeitig Einblicke und Erkenntnisse in die psychologische Ausgangslage vor Ort zu gewinnen, um darauf aufbauend kommunikative Risiken und Chancen der Meinungsbildung in der lokalen Bevölkerung adressieren zu können.
Ausgangspunkt des Projektes ist eine breite gesellschaftliche Debatte um Klimawandel, Klimaschutz und Energiewende, die in den letzten Jahren deutlich an Dynamik zugenommen hat. Die Dringlichkeit von Klimaschutz wird in Politik und Gesellschaft ebenso wenig in Frage gestellt, wie auch den meisten Bürgerinnen und Bürgern die Energiewende nicht schnell genug geht (s. auch Studien: Soziales Nachhaltigkeitsbarometer der Energie- und Verkehrswende 2023, Kopernikus-Projekt Ariadne; Agentur für Erneuerbare Energien e.V. (AEE), 2022.).
Tatsächlich aber stoßen Vorhaben zum Bau neuer Energieerzeugungsanlagen und deren Infrastruktur immer wieder auf Widerstand in der lokalen Bevölkerung. In ihrem jüngsten Bürgerbegehrensbericht kommen die AutorInnen zu dem Ergebnis, dass nach einem Rückgang „bremsender Bürgerbegehren“ zwischen 2018 und 2021 diese in den letzten beiden Jahren wieder ansteigen. Nicht berücksichtigt sind dabei Vorhaben, die alleine schon aufgrund früher Proteste ohne formelle Bürgerentscheide aufgegeben wurden (siehe auch: Bürgerbegehren Bericht 2023, Mehr Demokratie e.V. und Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung (IDPF).
Eine beschleunigte Klimapolitik scheint in der Umsetzung durchaus nicht unumstritten zu sein und muss in ganz Deutschland zunehmend mit lokalen Widerständen und Konflikten rechnen. Einige verlangen dabei unter Verweis auf politische Ziele einen stärkeren Klimaschutz. Andere lehnen mit Berufung auf die Demokratie einen schärferen Klimaschutz ab. Dies kann sowohl den Klimaschutz an sich als auch konkrete Vorhaben treffen.
Hohe Investitionsrisiken durch Nachlässigkeiten in Kommunikation und Bürgerbeteiligung
Bei näherer Betrachtung erweisen sich die Motive der Gegner als komplex strukturiert. So wächst bei den einen ein Unbehagen heran, dass sich die Energiewende sozial ungerecht vollzieht und sie das Tafelsilber ihrer Heimat opfern sollen, um Investoren neue Erträge zu ermöglichen. Bei anderen wiederum vermag die mit einem Vorhaben empfundene Bedrohung eines vertrauten, heimatlichen Landschaftsbildes allein schon Unbehagen zu erzeugen. Historische Vorerfahrungen der Fremdbestimmung und politischer Bevormundung mischen sich hier zunehmend mit einem Misstrauen in die beteiligten Institutionen und Mandatsträger.
Allein 71 Prozent der bremsenden Verfahren fanden in Kommunen mit 5.000 oder weniger Einwohnern statt. (siehe auch: Bürgerbegehren Bericht 2023, Mehr Demokratie e.V. und Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung (IDPF)).
Das ist insoweit nicht überraschend, als sich in ländlichen Regionen natürlich weit mehr Flächenpotenziale für Windräder oder PV Freiflächenanlagen finden als in städtischen Gebieten. Während die an sich schon über die Jahre hohe Zahl von Verfahren gegen Windkraftanlagen seit 2015 leicht rückläufig ist, werden seit 2017 Verfahren gegen Photovoltaik-Freiflächenanlagen hingegen deutlich häufiger eingeleitet. Der politische Kampf um den Ausbau der Erneuerbaren Energie wird somit zunehmend in die kleinstädtischen Arenen der ländlichen Regionen verlagert.
Im Ergebnis führt die Gemengelage in vielen Fällen dazu, dass in den letzten Jahren ambitionierte Vorhaben, zum Beispiel zur Errichtung eines Solarparks, durch einen Bürgerentscheid und die Stimmen weniger Gegner zu Fall gebracht werden konnten. Dirk Ziems, Gründer und Gesellschafter von concept m, stellt fest: „Viele dieser mitunter millionenschweren Niederlagen wären vermeidbar gewesen, wenn sich die Vorhabenträger im Vorfeld den psychologischen Befindlichkeiten der Bürger ähnlich umsichtig angenähert hätten, wie der technischen Bewertung des Standortes und der regulatorischen Bedingungen.“
Auffällige Defizite in der Akzeptanzvermittlung
Sowohl in der nachträglichen Bewertung von gescheiterten Vorhaben wie auch in der Praxis der Akzeptanzkommunikation zeigen sich aber auch erste Lösungsansätze. Nach Sichtung zahlreicher Beispiele zeigen viele der gescheiterten Vorhaben auffällige Muster bei Defiziten im kommunikativen Verhalten:
Mangelnde Transparenz: Bürgerinnen und Bürger sehen sich dabei in der Anbahnungsphase intransparenten Vorgängen ausgesetzt und werden spät mit den wesentlichen Eckpunkten einer schon fortgeschrittenen Planung konfrontiert.
Dubiose Flächensicherung: Ein zentraler Baustein der Projektentwicklung ist die Sicherung der für das Bauvorhaben benötigten Flächen. In vielen Fällen wurde die Öffentlichkeit zu spät an den Überlegungen beteiligt. Im Ergebnis sieht sie sich dann einer Flächenkulisse gegenüber, die als Resultat der Kungelei zwischen kommunalen und privaten Interessen erscheint.
Handelnde Personen mit Vertrauensdefiziten: Insbesondere von GemeindevertreterInnen, ProjektiererInnen und BetreiberInnen erwarten BürgerInnen faire Informationen zu Lasten und Potenzialen. Vor allem BürgermeisterInnen kommen hier wichtige Integrations- und Vermittlungsfunktionen zu. Ein erfolgreiches Bürgervotum gegen ein Vorhaben geht oft einher mit einem Misstrauen gegenüber den handelnden Akteuren in wichtigen Fragen.
Fragwürdiger Bürgernutzen: Die Aussicht auf den Beitrag zum Klimaschutz und zur Zukunftssicherung einer Region ist weiterhin ein wichtiges Motiv für die grundlegende Akzeptanz eines Vorhabens, aber unzureichend für die individuelle Zustimmung. BürgerInnen wollen nicht nur in der Planung beteiligt sein, sondern erwarten auch persönlich eine geldwerte Teilhabe, zum Beispiel über regionale Bürgerstromtarife oder finanzielle Beteiligungen. Leider werden diese Chancen häufig zu spät ins Spiel gebracht oder monetär konkretisiert.
Andreas Severin, Geschäftsführer von crossrelations brandworks, sieht die Notwendigkeit einer fallbezogenen Herangehensweise: „Es gibt in der Praxis nicht den einen, vorherrschenden Grund. Es gibt vermutlich tatsächlich nicht einmal den identischen oder gar typischen lokalen Akzeptanz-Störfall. Jeder Widerstand hat seine eigene Geschichte. Wer diese Geschichte nicht kennt oder ignoriert, handelt fahrlässig.“
Der Akzeptanznavigator soll helfen, die tieferliegenden Haltungen und Motive frühzeitig zu erkennen und sowohl inhaltlich wie kommunikativ bearbeiten zu können. Die Besonderheit des auf tiefenpsychologischen Interviews basierenden Tools besteht darin, dass der Akzeptanznavigator die Projektkommunikation durch die typischen Phasen des Akzeptanzprozesses hindurch begleitet.
Laut Dirk Ziems zeigt sich aus der Erfahrung mit vielen Projekten: „Akzeptanz baut sich schrittweise auf – vom ersten Warm-Werden über das Ausbilden eines passenden lokalen Entwicklungsbildes bis hin zur Identifizierung mit den Projektzielen. Wer Akzeptanzprozesse befördern will, muss einen langen Atem haben und die möglichen Widerstände, die in den verschiedenen Phasen in unterschiedlichen Formen auftreten, antizipieren und mit positiver Projektkommunikation bearbeiten.“