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Ein GIF aus dem Video zum Thema Arbeitsschutz. Eine Frau telefoniert und behauptet eine Information würde hier nicht stehen. Dabei schaut sie aber in der Luft herum. Das volle Video finden Sie hier: https://www.youtube.com/watch?v=ZwcYKDPumPM&t=2s

„Einfach Auflegen ist so retro“ – einfach drollige Spots raushauen aber leider auch

Wie die Kampagne der DGUV zum Arbeitsschutz den Einstieg in das Thema „Kommunikation“ versemmelt.

Eine Kritik von Andreas Severin

Wenn es um den betrieblichen Arbeitsschutz geht, ist ohne Zweifel ist die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) einer der wichtigsten Player. Ihre Maßnahmen sowie deren Forschung auf dem Gebiet der Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren finden deutschlandweit in allen Betrieben und in der Politik hohe Beachtung. Das Forschungswissen des angegliederten, nicht minder renommierten Instituts für Arbeit und Gesundheit (IAG) trägt weit über die Landesgrenzen zu einem verbesserten Arbeitsschutz bei.

Mitte Oktober fiel auf der Fachmesse „A+A“ in Düsseldorf der offizielle Startschuss für die neue DGUV-Präventionskampagne „kommmitmensch – Sicher. Gesund. Miteinander“. An dieser Kampagne unter dem Dach des Spitzenverbands Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) beteiligen sich zahlreiche weitere Verbände und Institutionen.

Erklärtes Ziel der Kampagne ist es, Betriebe, öffentliche Einrichtungen und Bildungseinrichtungen dafür zu begeistern, sich für Sicherheit und Gesundheit zu engagieren. Dabei geht es den Initiatoren um nicht weniger, als zu einem Kulturwandel in den Betrieben beizutragen, der Werte wie Sicherheit und Gesundheit im Bewusstsein jedes Einzelnen verankert. Prävention soll über die Denkanstöße der Kampagne Teil einer jeden Unternehmenskultur werden. Da hat man sich Großes vorgenommen, aber um angesichts der Veränderung im Arbeitsleben die notwendigen Fortschritte in der Arbeitssicherheit zu erzielen, braucht es Visionen und Kraft, diese auf den Weg zu bringen.

Die Kampagne ist über mehrere Jahre angelegt und fokussiert zentrale Handlungsfelder in Unternehmen und Institutionen. Im Jahr 2018 startete die Kampagne mit dem Thema „Führung“ und adressierte Führungskräfte in ihrer Vorbildfunktion, auch bei Sicherheit und Gesundheit. Im Jahresrhythmus folgen dann die Handlungsfelder Kommunikation, Beteiligung, Fehlerkultur, Betriebsklima sowie Sicherheit und Gesundheit. 2019 also steht „Kommunikation“ im Mittelpunkt.

Den öffentlich sichtbaren Auftakt machte nun vor wenigen Tagen die Vorstellung des Social-Media-Clips „Der Feierabend“. Der Spot soll zeigen, was passiert, wenn jemand Hilfe braucht und niemand sich die Zeit nimmt, zu helfen, weil er oder sie gerade auf dem Sprung in den Feierabend ist. Fazit der Macher: „Ein paar kurze, klare Worte können manchmal das große Chaos abwenden.“ Klingt überzeugend und relevant. Ist es aber im Ergebnis leider nicht.

Ein Techniker muss kurzfristig eine Entscheidung treffen, den richtigen Knopf zu drücken, „grün“ oder „rot“. Dazu ruft er eine Kollegin an, die offenbar über entscheidungsrelevante Informationen in ihren Unterlagen verfügt. Diese ist aber leider schon in Feierabendstimmung und hat augenscheinlich keine Lust, den Kollegen zu unterstützen. Bereits im Weggehen ruft sie ihm widersprüchliche Empfehlungen zu. Mehr noch, um ihn loszuwerden, täuscht sie ihn sogar vorsätzlich. Der Techniker betätigt in seiner Hilflosigkeit natürlich den falschen Schalter – und die Dame bleibt im Aufzug stecken. Soweit der Plot. Fehlen eigentlich nur noch die Lacher aus dem Off.

Im Rahmen einer Schulung könnte man mit einem derartigen Verhaltenszerrbild vielleicht arbeiten und die entstandene holzschnittartige Situation gemeinsam befragen. Das Problem dieser Darstellung liegt jedoch vor allem darin, dass die beschriebene Situation so absurd und wirklichkeitsfremd ist, dass sie dem Betrachter keinerlei Identifikationsansätze liefert. Aus der pädagogischen Psychologie wissen wir jedoch, dass nur wenn die beiden motivationalen Systeme der volitionalen (willentlichen) und affektiven (emotionalen) Steuerung positives Feedback vermitteln, auch das gebotene Interesse entstehen kann. Anders gesagt, unsere Wahrnehmung tastet die angebotene Situation sehr schnell auf Relevanz ab. Daran mangelt es hier allerdings. Die Szenerie driftet völlig ins komödienhafte, satirische ab.

An diesem Punkt müssen in medial eigenständigen Formaten, wie einem social spot, jedoch die Anker der Wiedererkennbarkeit ausgeworfen werden. Betrachter müssen sagen: „Ja, so isses!“ und ihre Arbeitsschutzrealität zumindest im Grundmuster wiedererkennen. Die Forschung belegt, dass es insbesondere drei Motivgruppen sind, die Ansätze zur Verhaltensbeeinflussung liefern: ein latenter Wunsch nach Struktur, Ordnung und Schutz, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Anerkennung und Wertschätzung. Wer auf die ins Groteske abgleitende Filmszenerie blickt, findet nichts davon als möglichen Selbstbezug darin wieder.

In den schnelldrehenden B-Formaten der deutschen TV-Frühabendunterhaltung könnte dieses Filmchen vielleicht für ein paar kurze Lacher sorgen. Für eine Kommunikation, die zum Kulturwandel im Arbeitsschutz beitragen möchte, bleibt das Ergebnis unter der Sprungmarke. Schlimmer noch, sie nimmt ihre Zielgruppe nicht ernst: Wenn die als Vollpfosten oder Ignoranten dargestellten Akteure nur angenähert der wahren Zielgruppe der Kampagne ähneln, bräuchte man sich wohl über verfeinerte psychologische Strategien der Behavior Based Safety keine weiteren Gedanken mehr zu machen.

Das ist schade, denn die Kampagne „kommmitmensch“ ist klug und weitblickend konzipiert und man wünscht ihr viele Mitmacher und Unterstützung in den Betrieben und Verbänden.

Das Thema Kommunikation in den Mittelpunkt der diesjährigen Aktivitäten zu stellen ist unbedingt zu begrüßen. Mit Kommunikation lassen sich Hindernisse im Zugang zum individuellen Verhalten überwinden, zu denen die anderen Instrumente des Arbeitsschutzes keinen Zugang haben. Sicherheitsbeauftragte können ein Lied davon singen, welcher kommunikativer Anstrengungen es bedarf, um Kolleg:innen zu Verhaltensänderungen zu bewegen. Wie oft muss im Nachhinein das Kommunikationsverhalten befragt werden, wenn Missverständnisse und unausgesprochene Annahmen zu fatalen Konsequenzen geführt haben? Es ist wirklich an der Zeit, im Arbeitsschutz das Potenzial von Kommunikation neu und vor allem professionell gerüstet, zu entdecken.

Ausgehend von diesem Horizont, wirft das thematische Debüt mit dem Spot Fragen auf. Eigentlich sollte es jedem Social-Experten klar sein, dass Spots, wie dieser, niemals kommunikativ für sich alleine wirksam werden können. Sie sind als Medium ausgezeichnet dazu in der Lage punktuell Aufmerksamkeit, Relevanz und emotionale Beteiligung zu vermitteln. Aber nur, wenn sie auch zum Gesprächsanlass werden und sich mit anderen Instrumenten verzahnen, lassen sich die notwendigen Triggerpunkte im Verhalten des Zielpublikums ansteuern. Leider lässt einen dieser Spot nicht nur mit seinem bizarren Plot ratlos zurück, sondern auch in der Frage, wie sich dieser Social-Media-Spot in die Kampagnenmechanik integriert. Social videos machen nur Sinn, wenn sie den Communities Beteiligungs- und Interaktionsmöglichkeiten eröffnen, die auf tiefere engagements zielen. Dieser Rahmen fehlt hier oder wird nicht erkennbar.

„Sei nicht retro“ und „Gemeinsam für eine gute Kommunikation“, tönen die Macher schlussendlich ins Netz. Nun ja, klingt progressiv. Aber einfach einen skurrilen Spot in den Netz-Orbit zu pusten, ist kommunikativ leider auch ein bisschen retro.

Auf unserer Themenseite Arbeitsschutz können Sie auf dem Blog tiefer in unser Verständnis eintauchen.