crossrelations
Suche

FirstSignals: Zukünftige Trends nutzen, bevor es andere tun

Sommer-Interview: Medienbeobachter Oliver Heyden von pressrelations stellt seine Research-Methode vor

Unternehmen müssen heute vor allem beweisen, dass sie innovationsstark, wandlungs- und zukunftsfähig sind. Dazu gehört auch, die Chancen und Risiken neuer Themen frühzeitig zu erkennen. Die pressrelations GmbH hat mit der Research-Methode FirstSignals ein Konzept zur strategischen Früherkennung von neuen Trends entwickelt. In Kombination aus Algorithmus-basierten Analyseverfahren und der Leistung erfahrener Redakteure und Analysten erkennt FirstSignals die ersten schwachen Signale eines gerade entstehenden Trends. Wie das in der Praxis funktioniert und welche Erfolge bereits mit FirstSignals erzielt wurden, erzählt Chief Strategy Officer Oliver Heyden im Interview mit crossrelations.

Medienbeobachtung gehört schon seit Jahren zum Repertoire der strategischen Frühwarnsysteme von Unternehmen. Wie entstand FirstSignals?

Mit Frank Dopheide, dem langjährigen Sprecher der Geschäftsführung der Handelsblatt Media Group, entwickelten wir bereits Anfang 2014, damals noch im Rahmen seines Beratungsunternehmens Deutsche Markenarbeit, den Vorläufer von FirstSignals, GlobeScan. Er sollte den Anbieter von Business-Kongressen, Euroforum, dabei unterstützen, neue Eventformate mit neuen Inhalten zu entwickeln. Grundgedanke der Methodik war, dass Journalisten neu aufkommende Themen irgendwie beim Namen nennen müssen – wie bei einem Baby, das auf die Welt kommt. Und so war die Idee, potenzielle Trendthemen mithilfe von Buzzwords zu identifizieren, geboren.

Ein Beispiel von vielen ist Industrie 4.0. Diesen Begriff hatte der frühere SAP-Chef vor einigen Jahren mal auf der Hannover Messe genannt. Danach wurde dieses Buzzword sogar im angelsächsischen Raum zum Oberbegriff der Digitalisierung der Industrie. Doch nicht mit allen neuen Buzzwords läuft es so. Viele sind zu idiosynkratisch und verschwinden nach wenigen Wochen wieder. Genau hier setzen wir an, in dem wir solche Entwicklungen beobachten und für den Kunden einordnen, quasi die Spreu vom Weizen trennen.

Wie genau geht ihr dabei vor?

Um die Relevanz neuer Themen zu messen, speisen wir die Buzzwords mittels sogenannter Webcrawler in unser System ein. Dabei handelt es sich um Computerprogramme, die Dokumente im Netz mittels eines automatisierten Verfahrens durchsuchen. Doch damit ist es nicht getan. Denn unsere Medienanalysten müssen aus dem Wust an Artikeln, in denen ein Buzzword auftaucht, selektieren, wie relevant die Nennungen für den Kunden sind. Hier stößt die Technik an ihre Grenzen, da Maschinen nicht über das Ausmaß an Erfahrung beziehungsweise implizitem Wissen verfügen.

Hier profitieren wir aber auch von unserem riesigen Datenpool von Artikeln, die wir in den vergangenen Jahren für die Medienanalyse verwendet haben. Damit haben wir den Zugriff auf vergangene Trendverläufe und können mit diesem Wissen und mithilfe von Big Data typische, d.h. unabhängig vom Thema selbst funktionierende, Themen-Trigger beziehungsweise Tipping-Points identifizieren. Wir können also systemische Faktoren ausmachen, die einem Buzzword oder einem Thema den gewissen medialen Aufmerksamkeitsdrall geben –  von einer linearen Trendentwicklung hin zu einer progressiven Entwicklung. Natürlich hoffen wir, dass uns die Technik irgendwann auch mal bei der Auswertung unterstützen kann, aber das wird noch dauern.

Im Hinblick auf den Kampf zwischen Mensch und Maschine habt ihr also nicht das Gefühl, dass ihr an dem Ast sägt, auf dem ihr sitzt?

Mit unserem hybriden Ansatz wird aus dem Kampf zwischen Mensch und Maschine eine wirkungsvolle Kooperation. Der Mensch, davon bin ich überzeugt, wird dabei nie obsolet sein. Denn angesichts der rasanten digitalen Entwicklung und den Unmengen an Informationen, die im Netz kursieren, brauchen Unternehmen vor allem eins: Einordnung. Und das können in diesem Fall nur erfahrene Medienanalysten leisten.

Wie sieht das dann in der Arbeit mit dem Kunden aus?

Jedes Unternehmen verfügt durch seine Geschichte, Produkte, Unternehmenskultur, strategischen Vorgaben und Erfahrungen über eine Art von Themenkapital. Das bedeutet, wenn es seine originären Themen mit bestimmten aktuellen Themen am Medienmarkt geschickt verbindet und rechtzeitig platziert, kann es für sein Themenkapital einen großen Mehrwert erzeugen, der auf seine mediale Wahrnehmung und Reputation einzahlt. An dieser Stelle treten wir dann auch als Berater auf. Wir skizzieren auf Basis der FirstSignals-Ergebnisse Themenpotenziale, auf die der Kunde sein Themenkapital setzen sollte, aber auch Themen, die er eher ignorieren kann und Themen, die zum Reputationsrisiko werden könnten.

Analysten freuen sich immer, wenn eine von ihnen vorhergesagte Entwicklung eintritt. Kannst du uns ein Beispiel nennen für eine konkrete „Themen-Karriere“, die ihr mit FirstSignals habt kommen sehen?
FirstSignals erkennt die ersten schwachen Signale eines gerade entstehenden Trends. (Foto: pressrelations)


Ein Beispiel für ein Thema, bei dem wir die Entwicklung der Relevanz sehr gut prognostizieren konnten, war das sogenannte plant-based meat, hierzulande auch gern Labor- oder Retortenfleisch genannt. Als das Thema Mitte des Jahrzehnts aufkam, fand es vor allem Erwähnung in der Sensationspresse und wurde als Frankenfood abgestempelt. Wenig später verschwand es wieder von der Bildfläche. Doch das änderte sich Ende 2016, als wir das Thema per FirstSignals aufgriffen.

Als Trigger identifizierten wir die Tatsache, dass Bill Gates und Google Ventures in zwei Startups investierten: Impossible Foods und Mossa Meat. Das katapultierte plant-based meat in einen fortschrittlichen und vor allem positiven Kontext. Für uns war es das entscheidende Ereignis für die Erkennung eines Megatrends. Eine Zeit lang dümpelte das Thema dann so vor sich hin. Als Wiesenhof im April 2017 aber verkündete, dass sie in Laborfleisch investieren, explodierte das Thema regelrecht. Ein gewisser Karenzzeitraum, in dem sich ein Begriff im Markt durchsetzt, ist ganz typisch für die Trendentwicklung und sehr wichtig in der Kundenarbeit. Denn in dieser Zeit kann sich das Unternehmen überlegen, ob es sich zu diesem Thema positionieren möchte und wenn ja, in welcher Form. Diese Vorbereitungszeit verschafft dem Kunden den nötigen Vorsprung, um zu gegebener Zeit kurzfristig Kommunikationsmaßnahmen in Gang zu setzen.

Gibt es noch andere Faktoren, an denen ihr einen aufkommenden Trend erkennt?

Synonyme sind gute Trigger-Points. Wenn ein Begriff auftaucht, kann der wieder verschwinden oder er bekommt Kinder. Also, wenn es für einen Begriff plötzlich mehrere Synonyme gibt, dann ist das für uns Medienanalysten ein Zeichen, dass es sich dabei um ein großes Ding handelt. Dabei ist es auch nicht entscheidend, welcher der Begriffe sich davon durchsetzt, sondern allein durch ihre Bündelung wird daraus eine mächtige Bewegung. Das passierte beispielsweise mit dem Begriff „techlash“, der Gegenbewegung zu den Technologieriesen Google, Microsoft & Co.

Kommt FirstSignals eher beim Risikomanagement zum Einsatz oder überwiegt der Chancen-Blickwinkel auf potenzielle Trendthemen. Wie ist da eure Erfahrung nach einem Jahr am Markt?

Obwohl FirstSignals unserer Erfahrung nach auch als Frühwarnsystem funktioniert, zielen die Kundenwünsche eher auf den Chancenaspekt ab. Die Frage lautet meist, welche Themen für das Unternehmen in Zukunft wichtig werden könnten und wie sich diese mit den eigenen, bereits vorhandenen Themen verbinden lassen. Mögliche Themen-Risiken spielen in der Regel eine untergeordnete Rolle.

Zudem haben unsere Kunden oft schon ein gewisses Portfolio an Themen, die sie für relevant erachten. Der große Vorteil von FirstSignals ist, dass wir hier auch bei der Priorisierung helfen können, die Kunden also unterscheiden können zwischen den Themen, auf die sie setzen sollten, und denjenigen, die erstmal nur nice to have sind.

Wann wird ein Buzzword für euch zum Zukunftsthema?

Das ist jetzt natürlich so, als würde man das Rezept des Zaubertranks von Mirakulix verraten. So viel kann ich jedoch sagen: Entscheidend für uns ist, wenn ein Buzzword in einem internationalen oder nationalen Leitmedium erstmals oder in völlig neuem thematischem Kontext auftaucht. Denn über Leitmedien mit hochkompetenten, investigativen Redaktionen gewinnen neue Themen auch in Zeiten der Digital Natives das entscheidende Quantum an Relevanz. Das zeigt die Big-Data-Analyse unserer Archive ganz deutlich. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von „Weak Signals“, d.h. ersten Signalen, dass ein Thema in der medialen Öffentlichkeit der Entscheider und First Mover unter den Konsumenten angekommen ist.

Man könnte euch ja schon als Trend-Jäger bezeichnen. Denkst du, dass ihr in Zukunft sogar Trends setzen könntet?

Das möchten wir gar nicht und das würde unsere Arbeit auch stören. Mittlerweile ist es zwar schon gang und gäbe, dass Trendforscher auf Fachkongressen eigene Themen als zukünftige Trends ins Spiel bringen. Aber aus meiner Sicht überdehnen sie mit dieser Selbstreferenzierung ihren eigenen Anspruch als Trendforscher. Wir besinnen uns da lieber auf unsere zwei Stärken, die geschulten Analysten mit ihrer langjährigen Erfahrung und unsere Crawler-Technik. Wir sind ja keine Wahrsager, unsere Einschätzungen sollen am Ende immer auf objektiven Erkenntnissen fußen.

Wir haben ja bereits für einen großen Kunden mit FirstSignals gearbeitet. Die Analyse förderte auch Zukunftsthemen zutage, die wir bis dahin noch nicht auf dem Schirm hatten. Lernt euer System aus den Ergebnissen? Wie sieht euer Qualitätsmanagement aus?

Begriffe, die wir in unser Crawler-System einspeisen, bleiben da drin und werden auch immer weiter gemessen. Diese umfassende Datenbank, die aktuell um die 800 Begriffe aus allen denkbaren Bereichen trackt und ständig wächst, ist sozusagen unser Wissensschatz. Diesen können wir dann auf dreierlei Art für uns nutzbar machen: erstens für die Realisierung von konkreten Kundenaufträgen zum Tracken von hochaktuellen Potenzial- oder Risikothemen. Dazu erhalten diese aus unserem Themenpool die für sie relevanten Buzzwords. Im Bereich HR und Organisationsentwicklung messen wir beispielsweise aktuell etwa 80 Buzzwords. Auf dieser Grundlage bieten wir eine kundenspezifische Recherche und können dem Kunden am Ende konkret etwa 20 bis 30 Top-Begriffe anbieten, die monatlich für ihn gemessen werden. Der Clou: durch das parallel weiterlaufende Basis-Tracking wird diese Liste permanent ergänzt und aktualisiert. Und schließlich gehört zu dem Angebot auch, zu tracken, in welchem Maße die wichtigsten Wettbewerber in diesen Themen bereits platziert sind.

Zweitens dient das Tracking uns als rückwirkende Möglichkeit, unsere Trigger-Indikatoren zu verfeinern und somit die Prognosefähigkeit unserer Methode laufend zu verbessern.

Und drittens können wir, da wir den Überblick über die Themen-Landschaft haben, den Kunden dabei beraten, welche Themen er verstärkt in den Fokus nehmen sollte. Dabei handelt es sich um Themen, die gerade dabei sind, in seinem Branchenumfeld Wirkung zu erzeugen, indem sie sich mit Branchenthemen verbinden oder diese gar beginnen zu transformieren.

Ihr werdet ja selbst fortlaufend auch mit neuen „Buzzwords“ überrascht. Dein persönlicher Favorit in diesem Jahr?

Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll. Da wären etwa Lignin-Batterien, die das Problem der starken Schwankungen bei der Stromerzeugung durch Erneuerbare Energien lösen könnten. Denn es scheint nun mal nicht immer die Sonne und es weht auch nicht immer der Wind. Lignin ist ein Abfallprodukt aus der Holzproduktion. Hunderttausende von Tonnen fallen davon jedes Jahr an und bislang wusste keiner, was man damit machen soll. Forscher haben aber Anfang dieses Jahres herausgefunden, dass Lignin statt eines sündhaft teuren und sehr seltenen Materials in Redox-Flow-Batterien eingesetzt werden kann und dadurch deren Herstellungsprozess um Längen vereinfacht und verbilligt wird. Aufgrund ihrer Größe und ihrer enormen Speicherkapazität eignen sich Redox-Flow-Batterien perfekt für die Speicherung sehr großer Strommengen. Genau in den Down-Phasen erneuerbarer Stromerzeuger können Redox-Flow-Batterien dann einspringen und einen konstanten Energiefluss gewährleisten.

Einen weiterführenden Blogbeitrag mit dem Titel „Themenkapital für den Corporate Newsroom“ finden Sie hier. Zudem war Oliver Heyden zu Gast bei Ausgabe von Disrupt, einem Podcast des Handelsblatts.