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Icons verbildlichen eine globale Lieferkette

Lieferkettengesetz: Unternehmen müssen jetzt ihre Hausaufgaben machen

Ein halbes Jahr nach dem deutschen Lieferkettengesetz hat im Februar die EU ihren Aufschlag gemacht. Das Gesetz in Deutschland wird Unternehmen ab einer bestimmten Größe zur Kontrolle ihrer unmittelbaren Lieferketten verpflichten. Diese Prozesse müssen in einem Bericht dokumentiert werden. Der europäische Entwurf beabsichtigt die Verantwortung auszuweiten und noch verpflichtender zu verteilen. Mit einer weitergehenden Verantwortlichkeit entlang globaler Lieferketten und der Einführung einer zivilrechtlichen Haftung für Unternehmen, bringt die EU-Kommission den Anspruch zum Ausdruck, dass europäische Unternehmen weltweit in der Nachhaltigkeitsbilanz führend sein sollen. Während das deutsche Lieferkettengesetz sich schwerpunktmäßig auf die Einhaltung der Menschenrechte beschränkte, nimmt das EU-Lieferkettengesetz negative Auswirkungen auf Umwelt und Klima oder den Verlust an biologischer Vielfalt ausdrücklich in den Schutzbereich auf.

Werden das deutsche Gesetz und der Vorschlag der EU-Kommission einlösen können, was sie an verbessertem Schutz von Menschen- und Umweltrechten versprechen? Vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen wird es schwerfallen, die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards in der dritten, vierten oder gar fünften Stufe ihrer Lieferkette zu überprüfen. Viele dieser Unternehmen werden hier eine sehr steile Lernkurve durchlaufen müssen, um mithalten zu können.

Klar ist indes: Kommt es zur Annahme des Richtlininenentwurfs wird dies schwerwiegende Auswirkungen auf den deutschen Mittelstand haben. Drum gilt: Wer sich bisher nicht damit befasst hat, sollte sich schnellstens vorbereiten.

Unternehmen haben Zeit und Vertrauen verspielt

Zwischen der ersten Forderung nach einem Lieferkettengesetz und dessen Umsetzung ist bereits einige Zeit vergangen. Für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden in Deutschland wird es nun 2023 ernst, für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden dann im folgenden Jahr. Auch auf freiwilliger Basis hätte man sich dieser Aufgabe schon entschlossen annehmen müssen. Tatsächlich zeigen auch jüngste Studien, dass von den zunächst 2.900 deutschen Unternehmen, für die das Bundesgesetz gelten wird, schlechterdings kaum die Hälfte Kontrollen ihrer Lieferanten im Ausland vornimmt. (Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen (GvW))

Krisen legen Schwächen in Lieferketten offen

Die Selbstverpflichtung der Unternehmen wurde leider nicht konsequent wahrgenommen, um die Risiken in der Lieferkette einzuhegen. Und das, obwohl durch die aktuellen globalen Ereignisse wie Krieg und Pandemie die Schwächen in den Lieferketten teilweise erschreckend offensichtlich geworden sind.

Corona hat die unübersehbaren Schwächen in den Lieferketten wie unter einem Brennglas hervortreten lassen. Ganz offensichtlich hat die Verletzlichkeit der Lieferbeziehungen System, weil diese unter sehr eingeschränkten betriebswirtschaftlichen Kriterien entstanden sind. Menschenrechtsrisiken oder natürliche Ressourcen wurden bei Beschaffungsentscheidungen allzu oft nachrangig behandelt und als Risiko unterschätzt und nicht bewertet.

Was kein Gesetz leisten kann …

Es sieht also danach aus, als müssten Firmen jetzt neu in die Pflicht genommen werden, wenn durch ihr fahrlässiges Verhalten Menschen und Umwelt geschädigt werden. Und doch sind Zweifel angebracht, ob ein Gesetz außer einem immensen Verwaltungs- und Dokumentationsaufwand viel zu bewirken vermag. Die Lieferketten, um die es maßgeblich geht, sind hochkomplex und selbst für die beteiligten Akteure oft nicht lückenlos aufzuklären.

Schon ein durchschnittliches, mittelständisches Unternehmen kann hier auf viele Tausend Zulieferer kommen, an denen wiederum ein Vielfaches an Unterlieferanten hängen. Wie weit möchte man bei Textilien zurückgehen? Bis zur ersten Fertigungsstufe? Bis zum Anbau der Baumwolle? Mittelbare Lieferketten müssen nach dem neuen Gesetz gar nicht explizit kontrolliert werden. Dort genügt es aktiv zu werden, wenn man auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam gemacht wurde. Und warum wird im Gesetz nur mit Blick auf Großunternehmen gehandelt, wenn der Löwenanteil des Handels von mittelständischen Firmen abgewickelt wird?

… vermag Reputation zu leisten

Dabei bräuchte es noch nicht einmal ein Gesetz. Verlässlich dokumentierte und überprüfbare Transparenz, Ratings und die Drohung möglicher Reputationsverluste könnten hier wesentlich mehr zur Veränderung beitragen als es jedes national oder europäisch begrenztes Gesetz könnte. Immerhin hält die Geschichte genügend Beispiele dafür bereit, wie sehr Nachlässigkeiten in der Supply Chain ein Markenvertrauen beschädigen können.

Nachhaltigkeitsberichterstattung: Validierte Nachhaltigkeitsberichte können ein wesentlicher Baustein der Vertrauensbildung sein. Wer seinen Bericht an den Richtlinien der GRI orientiert, wird unweigerlich seine Lieferkette unter Risikoaspekten ausleuchten müssen. Die GRI Standards zu Beschaffungspraktiken (204), zur Umweltbewertung von Lieferanten (308) oder zur Sozialen Bewertung der Lieferanten (414) lassen keine Zweifel daran, welche Informationen hier gefordert sind, um aussagekräftig zu sein.(Mehr Infos finden Sie auf dem Blog auf unserer Themenseite Reporting.)

Ratings: Im Kapitalmarkt ist es schon etablierte Praxis und auch andere Stakeholder werden daran anknüpfen. Bei aller Heterogenität sind ESG-Ratings zum unverzichtbaren Instrument der Analysten bei der Beurteilung der Zukunftsfähigkeit von Unternehmen geworden. Third-Party-Assessments wie die von EcoVadis bilden zunehmend eine Bedingung für den Zugang zum Kapitalmarkt oder in das Lieferantenportfolio großer Unternehmen. Warum sollten solche Ratings nicht auch verstärkt die Grundlage für Aufträge der öffentlichen Hand oder in der Verbraucherlenkung bilden?

Transparenz als Voraussetzung für Lieferkettenmanagement schafft öffentliches Vertrauen

Bleibt die Frage nach der Verlässlichkeit der im Reporting dokumentierten Angaben. Selbst wenn diese durch Prüfungen und Audits kontrolliert werden. Aber auch von den Prüfern wird hier mehr Initiative und Umsicht verlangt werden müssen, um die Realitäten hinter den Lieferverträgen zu erkennen. Es kann nicht sein, dass schon für den Prüfungslaien unübersehbare Lücken in der Darstellung von Governance-Strukturen, wie zum Beispiel Probleme bei der Kontrolle von Lieferketten, in Prüfberichten unerwähnt bleiben.

Wenn hier jeder seinen Job macht, steht zu erwarten, dass die Digitalisierung und das Internet hier zunehmend für öffentlich zugängliche Transparenz und Beteiligung sorgen werden. Lieferkettendaten können in Teilen heute schon über Blockchains abgesichert werden und die Prüfer wissen auch längst, wie sie die vorgefundenen Informationen auf Plausibilität hin abklopfen müssen.

Eine Langfassung dieses Artikels über das Lieferkettengesetz finden Sie im Gastbeitrag von Andreas Severin bei ECOVIS. Der Beitrag wurde vor Verabschiedung des Gesetzes verfasst.