crossrelations
Suche

„UNTEN GEMÜSE, OBEN SOLARSTROM – WIE AGRI-PHOTOVOLTAIK DIE ENERGIEWENDE BESCHLEUNIGT“

Auf dem 7. Duisburger TecTalk wurde deutlich, warum eine neue Generation von PV-Anlagen leichter Zustimmung findet

Als Mitinitiator des TecTalks interessieren uns bei crossrelations vor allem die mit nachhaltigen Transformationen einhergehenden Kommunikationsanforderungen. Mit dem nun forcierten Gang durch die Energiewende sehen sich viele Infrastrukturprojekte beim Anlagen-und Netzausbau großen Herausforderungen in der lokalen Akzeptanzkommunikation gegenüber. Abstimmungs- und Verhandlungsprozesse mit Bürger:innen, die wir kommunikativ begleiten, haben sich früher oft über Jahre erstreckt und verdichten sich unter dem Druck der Energiemärkte auf Monate. Bei näherer Betrachtung der Vorhaben zeigen sich jedoch Unterschiede im Akzeptanzverhalten. Während die Planung von Windkraftanlagen im Binnenland zunehmend auf Gegenwind stößt, scheinen PV-Freiflächenanlagen leichter Zustimmung zu finden. Vor allem eine ihrer Ausführungsvarianten, die sogenannte Agri-PV, scheint auch kritische Haltungen leichter zu versöhnen. Wir wollten es genauer wissen und haben uns zwei anerkannte Experten eingeladen.

Dr. Matthias Meier-Grüll,  Projektleiter Agri-PV am Institut für Pflanzenwissenschaften des Forschungszentrums Jülich und Mario Münch, Elektrotechniker, Gründer von Münch Energie und Landwirtssohn beleuchteten beim 7. TecTalk Digitale Transformation das Potenzial der Agri-Photovoltaik aus der Sicht der Forschung und der aktuellen Projektpraxis.

Nicht der Energiehunger der Industrie und auch nicht der Durchbruch technologischer Innovationen markieren den wesentlichen Wendepunkt in der neuen Ausbreitungsdynamik der Solarparks. Es ist die Lage der Landwirtschaft. Weltweit kämpfen Bauern gegen die Folgen des Klimawandels. Extremwetter-Ereignisse kommen auch in unseren Breiten immer häufiger vor. Starkregen, Hagel, Dürreperioden und Hitzesommer setzen unseren Kulturpflanzen zu. Wenn ein Hitzerekord den nächsten jagt, werden zwei Dinge klar: Wir haben nicht mehr viel Zeit, um die Klimakrise abzumildern und wir brauchen innovative Lösungen.

In diesem Szenario kommt die Agri-Photovoltaik ins Spiel. Denn mit ihr ist die berechtigte Hoffnung verbunden, dass das Tempo, was wir für eine erfolgreiche Energiewende brauchen, weiter hochgehalten werden kann. Denn der Königsweg der Beschleunigung findet sich ebenfalls auf dem Acker. Das Prinzip der Agri-Photovoltaik ist denkbar einfach: Auf derselben Ackerfläche auf der Landwirtschaft betrieben wird, wird auch Sonnenenergie geerntet. Frei nach dem Motto „Unten Gemüse, oben Solarstrom“ hat diese Doppelnutzung das Potenzial, sich für viele landwirtschaftliche Bereiche zu einem Zukunftsmodell zu entwickeln.

Auf die Details der Umsetzung blickt seit Jahren der Wissenschaftler und Photovoltaiker Dr. Matthias Meier-Grüll. Zum TecTalk stellt er spannende Ergebnisse aus Studien vor, die er und sein Team am Forschungszentrum Jülich an eigenen Agri-Photovoltaik-Anlagen durchgeführt haben.

Agri-PV – Vielseitiger als angenommen

Zum Einstieg gab Meier-Grüll einen kurzen Überblick über die in der Praxis befindlichen Systeme, die alle unter den Begriff Agri-Photovoltaik fallen. Die Vielfalt der dabei eingesetzten Varianten überrascht, und zeigt gleichzeitig das Potenzial und die Anpassungsfähigkeit dieses Verfahrens zur Stromerzeugung unter Ausnutzung der vorhandenen landwirtschaftlichen Fläche.

Dabei reichen die verschiedenen Systeme von PV-Modulen in mehreren Metern Höhe mit unterschiedlichen Befestigungen bis hin PV-Modulen, die als Zäune zwischen den jeweiligen Landwirtschaftsflächen stehen. Andere Systeme können als smart bezeichnet werden. Die Solarmodule werden hier über zwei bewegliche Achsen angebracht, die über eine Steuerungseinheit die PV-Flächen in die Lage versetzen, dem Sonnenverlauf zu folgen. Das garantiert eine optimale Sonneneinstrahlung auf die PV-Fläche und damit eine optimale Stromausbeute.  Ein ebenso hohes, wenn nicht sogar größeres wirtschaftliches Potenzial haben Agri-PV-Anlagen bei Gewächshäusern. Für Gewächshäuser, die zu Agri-PV-Anlagen zählen, kommen PV-Module zum Einsatz, die teildurchlässig für bestimmte Wellenlängen des Sonnenlichtes sind. Auf diese Weise kann die Lichtausbeute exakt auf den Bedarf der im Gewächshaus gezüchteten Pflanzen angepasst werden.

Agri-Photovoltaik – so vielfältig wie die Anwendungsmöglichkeiten.)

„Die Biodiversität ist mindestens genauso schlimm wie die Klimakrise.“

Das ganze Potenzial von Agri-Photovoltaik offenbart sich, wenn man den Aspekt der Biodiversität hinzunimmt. Wenn entsprechende Solarparkflächen die Flora und Fauna zusätzlich in ihr Flächenkonzept einbeziehen, leisten sie zum Schutz und Erhalt der Artenvielfalt einen wichtigen Beitrag. Um dieses Ziel mit einzubeziehen, müssen die Solarflächen in der Regel höher positioniert werden und durch Blühstreifen ergänzt werden. Grundsätzlich bieten solche Biodiversitäts-Photovoltaikanlagen großzügige Freiräume zwischen den Solarmodulen, die als Lebensraum für Insekten, Reptilien und Kleinsäugetiere dienen. Solarparks können auf diese Weise dem Rückgang der Artvielfalt entgegenwirken. „Die Biodiversitätskrise ist mindestens genauso schlimm wie die Klimakrise“ verdeutlichte Dr. Matthias Meier-Grüll die absolute Dringlichkeit dieses Aspektes im Kontext der Agri-Photovoltaik.

„Der limitierende Faktor ist das Wasser.“

Spannend wurde es bei dem Einblick in aktuelle Forschungsergebnisse der Jülicher Forscher aus dem Institut für Photovoltaik. Unweit des rheinischen Braunkohlereviers wird auf zwei Hektar Grundlagenforschung zur Agri-Photovoltaik betrieben. Mit vier verschiedenen PV-Systemen wurde 2022 das Wachstum der Ackerbohne untersucht. Daten wie Chlorophyllgehalt, Höhe der Pflanzen, Stärkegehalt oder Blattgröße standen hier im Fokus der Forschenden. Überraschendes Ergebnis: Die Hitzesommer der letzten Jahre machten deutlich, dass der limitierende Faktor für das Wachstum der Pflanzen der Wassermangel sei und nicht der Schatten, der durch die Module auf die Pflanzen fällt. Denn das Gegenteil ist der Fall. Die Beschattungsverhältnisse bringen unter solchen klimatischen Bedingungen mehr Vorteile für die Pflanzen. Denn die Solarmodule der Agri-Photovoltaikflächen bewirken eine geringere Verdunstung im Vergleich zur benachbarten Referenzfläche.

Zu ähnlichen Resultaten kamen auch die Kolleg:innen vom Fraunhofer-Institut, die den Zeitraum 2017 und 2018 betrachtet haben, und in dem trockenen Jahr 2018 bei Winterweizen, Kartoffeln und Sellerie einen höheren Ertrag für die Agri-Photovoltaik feststellen konnten. Das sollten wir als Chance für die Landwirtschaft und Energiewende im Hinblick auf den Klimawandel begreifen und schnellstmöglich in eine breitere Anwendung bringen als bisher geschehen.

Agri-Photovoltaik: Chancen für die Landwirtschaft und Energiewende, Fraunhofer ISE, Oktober 2020

„Jährlich kommt die Leistung eines halben Atomkraftwerkes hinzu.“

Nach der wissenschaftlichen Betrachtung der Agri-Photovoltaik, gab Mario Münch von Münch Energie Einblicke in die Praxis der Projektrealisierung und zeigte, welches Potenzial die Agri-Photovoltaik schon heute hat. Den Einstieg in die Solarbranche verdankte Münch übrigens den Überlegungen, seinen Eltern die Altersvorsorge zu sichern. Aus diesen Betrachtungen, die nun über 20 Jahre zurückliegen, wurde ein erfolgreiches Energieunternehmen, das mit seinen PV-Systemlösungen mittlerweile jährlich die Leistung eines halben Atomkraftwerkes durch Sonnenenergie ersetzt. Tendenz steigend. Münch Energie erwirtschaftete einen Umsatz von 120 Millionen Euro im Jahr und fördert mit seinen großen Solarparks die dezentrale Energieversorgung. Unternehmen und Kommunen machen mit Münch Energie durch den direkten Bezug von günstig erzeugter Solarenergie einen großen Schritt in Richtung nachhaltiger Energieversorgung und fördern die Energiewende.

Münch Energie versteht sich als Full-Service-Anbieter und deckt alle Schritte auf dem Weg zur großen PV-Freiflächenanlage ab, inklusive Projektierung, Instandhaltung und Stromvertrieb. Dezentral, nachhaltig und grün. Aber die Zeit drängt, davon ist Mario Münch fest überzeugt. Schon die Aufzeichnungen seiner Eltern über Wetterverlauf, Ernteerträge, Temperaturmaxima und -minima spiegelten die wissenschaftlichen Befunde zum Klimawandel wider. Waren es in der Vergangenheit einzelne Phänomene, sind diese sogenannten Klima-Ausreißer zu einem Dauerzustand geworden. Die sieben wärmsten Jahre der letzten 140 Jahren in Deutschland sind seit 2014 aufgetreten, betonte Mario Münch und unterstrich damit den aktuellen Handlungsdruck. „Wir haben noch neun Jahre Zeit, um die Verkehrs-, Agrar- und Energiewende zu vollziehen. Mehr Zeit bleibt uns nicht, um das Schlimmste für die uns nachfolgenden Generationen abzuwenden“, schätzt Mario Münch die Lage ein.

„Kommunikation ist ein zentrales Element der Energiewende“

Aus seiner Sicht haben die großen börsennotierten Energiekonzerne die Energiewende zu lange ignoriert und sich eher darauf konzentriert in den letzten Jahrzehnten Milliarden zu verdienen. Nur um dann in der aktuellen Energiekrise staatlichen Subventionen einzufordern. Der Vorwurf, den Münch erhebt: Mit geschickten PR-Stunts würden aktuell Scheindebatten initiiert, die die öffentliche Wahrnehmung bestimmen, aber sachlich falsch sind. So wird gerne das Argument ins Feld geführt, dass die Photovoltaik der Landwirtschaft Flächen entziehen würde, die für die Nahrungsmittelproduktion gebraucht würden. Dabei gibt es in Deutschland kein Flächenproblem, sondern eher die machbare Herausforderung, die Flächen effizient zu bewirtschaften. Von den 16,7 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche in Deutschland entfallen gerade einmal 22 Prozent, ca. 3,6 Millionen Hektar, für die Nahrungsmittelproduktion, der Rest wird anderweitig genutzt.

Wir haben kein Flächenproblem, sondern eine Flächeneffizienz-Herausforderung.

Dass wir kein Flächenproblem haben, sondern an der Effizienz arbeiten müssen, zeigt sich beim sogenannten Biosprit. Auf einem Hektar lässt sich so viel Raps anbauen, dass daraus Bio-Kraftstoff produziert werden kann, der einen PKW mit Verbrennungsmotor 21.000 km weit bringt. Hört sich auf den ersten Blick gut an, ist es aber nicht. Denn auf einem Hektar lässt sich so viel Photovoltaik installieren, deren Stromertrag ausreichen würde, um ein Elektroauto 3.200.000 km fortzubewegen. So nutzt man heute Flächen effizient zur Energieerzeugung aus.

Flächen lassen sich mit Agri-Photovoltaik effizient bewirtschaften

Effizienzunterschiede zeigen sich auch bei einem Vergleich einzelner Agri-PV-Systeme. Ohne staatliche Subventionen lassen sich aber schon heute Agri-PV-Anlagen wirtschaftlich betreiben, die die Doppelnutzung der verwendeten Fläche über Tierhaltung, z. B. Schafbeweidung, erreichen. Dennoch können die verschiedenen Agri-PV-Systeme je nach Standort ihre Berechtigung haben. Hier sollten pragmatische Lösungen weiterführen. Dafür wären laut Münch aber ein Bürokratieabbau und beschleunigte Genehmigungsverfahren zwingend notwendig. 12 Jahre lang sei der Solarenergieausbau verschleppt worden, sodass man heute alle Register ziehen müsse, wenn die gesetzten Klimaziele bis 2030 erreicht werden sollen.

„Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine habe uns alle aus dem energiepolitischen Dornröschenschlaf geweckt und uns vor Augen geführt, wie anfällig unsere monopolistisch aufgebaute Energieversorgung tatsächlich ist.“ Die damit verbundene Unsicherheit und die Sorge vor Versorgungslücken, haben zu einer enormen Preissteigerung geführt, nicht nur bei den Energiepreisen. Dass eine dezentrale Energieversorgung über PV-Anlagen günstigen Strom liefert und versorgungstechnisch ein Sicherheitsplus bedeutet, hat sich zum Glück aber herumgesprochen. Wer als Unternehmer oder Kommune das auch als Chance für eine positive Veränderung sieht, kann mit Solarstrom deutlich unter den Strommarktpreisen produzieren. Münch selbst ist bei seinem Unternehmen auch schon einen Schritt weiter. Am Hauptsitz in Rugendorf wird der Strom bei günstigen Bedingungen mithilfe einer smarten Prozesssteuerung zwischengespeichert, um ihn bei Spitzenlasten oder nach Bedarf abzurufen. Eine Entwicklung, von dem auch die Kunden von Münch Energie in Zukunft profitieren werden.

Zeit ist reif, bürokratische Hindernisse abzuräumen

Der Dialog und die Kommunikation mit Bürger:innen, Politik und Naturschutzverbänden belegen, dass Agri-PV-Konzepte zusammen mit durchdachten Angeboten der Bürgerbeteiligung wesentlich zu einer frühen Akzeptanz selbst großer PV-Freiflächenanlagen beitragen können. Dennoch benannte die anschließende Diskussion wichtige Bremsklötze im Ausbau der Agri-Photovoltaik, die es möglichst zügig aus dem Weg zu räumen gilt, damit der Zeitrahmen für die Energiewende gehalten werden kann. Die energiepolitischen Rahmenbedingungen und die in der Regel langen Genehmigungsverfahren, – immerhin sei Deutschland wenigstens auf diesem Feld noch Weltspitze -, wurden als die größten Handicaps ausgemacht und trüben den Blick auf eine CO2-freie Zukunft. Artenschutzgutachten beispielsweise, die sich über mehrere Monate hinziehen können und im schlechtesten Fall den Bau um Jahre verzögern würden. Und das für Felder, die jahrelang einer intensiven Landwirtschaft ausgesetzt waren. Oder Anforderungen der Wasserwirtschaftsämter, die Stauraumkanäle für Agri-PV-Anlagen einfordern, für Flächen, die vorher bedenkenlos mit Gülle behandelt worden seien.

Auch die globalen Lieferengpässe tragen ihren Teil dazu bei, dass angestrebte Ziele immer wieder zeitlich nach hinten verschoben werden müssten. So beträgt die Lieferzeit für einen handelsüblichen Netztransformator mit 110.000 Volt aktuell mindestens drei Jahre. Nur eine von diesen „Kleinigkeiten“, die laut Münch einem das Gefühl geben, gegen Windmühlen zu kämpfen. Die Zeit sei dennoch günstig, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Dieses Momentum müsse genutzt werden. Der Wille und viel öffentliche Unterstützung seien da und mit den technischen Möglichkeiten, die heute schon zur Verfügung stehen, bleibe die solare Zukunft immer noch ein realistisches Ziel, war unisono das Fazit des 7. TecTalks Digitale Transformation.

Zur Veranstaltungsreihe: Der TecTalk Digitale Transformation richtet sich an Führungskräfte von Unternehmen, die in besonderem Maße gefordert sind, die Effekte der Digitalisierung in ihrem Geschäftsmodell zu verarbeiten. Die Initiatoren des TecTalks Digitale Transformation, die Kommunikationsberatung crossrelations, der Industrie 4.0-Spezialist ITQ und der Förderverein Ingenieurwissenschaften der Universität Duisburg-Essen e.V., wollen mit diesem Format dem notwendigen disziplinübergreifenden Austausch eine Plattform geben.

Unsere Gäste beim TecTalk waren:

Dr. Matthias Meier-Grüll ist Projektleiter Agri-PV am Institut für Pflanzenwissenschaften des Forschungszentrums Jülich. Er erforscht am Institut für Bio- und Geowissenschaften (IBG) des Forschungszentrums Jülich im Projekt »Agrophotovoltaik 2.0« unter anderem, wie Pflanzenwachstum und Anlagensteuerung optimal aufeinander abgestimmt werden können.

Das mittelständische Erfolgsunternehmen Münch Energie aus dem oberfränkischen Rugendorf, ist mit 130 Mitarbeiter und knapp 250 Millionen Euro Jahresumsatz zu einem der größten Entwickler dezentraler Energieversorgung in Deutschland aufgestiegen.  Unternehmensgründer Mario Münch enstammt selbst einem alten Bauerngeschlecht und zählt zu den Pionieren bei der Realisierung großer Agri-PV-Freiflächenanlagen.

Weitere Energiewendeprojekte von uns finden Sie auch hier.