Ein Plädoyer von Andreas Severin
Reporter des WDR bekommen brisantes Filmmaterial zugespielt. Darauf ist zu sehen, wie Fleisch, das auf dem Boden liegt, aufgenommen und wieder auf den Zerlegetisch geworfen wird. Die Journalisten werfen den Rechercheapparat an und stoßen auf einen großen Geflügelproduzenten, der zu den Kunden des Zerlegebetriebs gehört. Mitarbeiter bestätigen anonym die schmutzige Praxis, ein Lebensmittelsachverständiger bekräftigt deren Unzulässigkeit und schließlich findet sich noch ein Veterinäramt, das mitteilt, dass diese Vorwürfe schon seit Monaten aktenkundig sind. Die Story ist jetzt rund, hält sich noch ein paar Tage in den Top-Nachrichten und die Reporter eilen zum nächsten Scoop. Zurück bleibt – Schaden.
Vielleicht können sich die Geschädigten noch glücklich schätzen, dass hier journalistisch korrekt gearbeitet wurde. Denn auch Journalisten können anders, wenn sie unter Druck stehen, einen Skandal zu finden. Da wird auch schon mal Druck auf vermeintliche Kunden eines in Verdacht gestellten Unternehmens ausgeübt, sich öffentlich zu einem Vorwurf zu äußern. Falls man nicht kooperiere, könne man auch ein Produkt des Kunden vor die Kamera halten. Im Markt ist mitunter eine interessante Arbeitsteilung zu beobachten: Private Produktionsfirmen gehen auf „Trüffelsuche“. Sie greifen Hinweise aus dem Markt auf und recherchieren diese aus eigener Initiative an. Wenn sie auf einen hinreichend spannenden Aufreger stoßen, arbeiten sie die Story redaktionell in einem ersten Exposé aus und bieten sie verschiedenen Sendern und Formaten zum Kauf an.
Kaum ein Markt ist für diese Skandalisierung so anfällig und auch so ergiebig, wie der Lebensmittelmarkt. lebensmittelwarnung.de sprach im Jahr 2016 71 Produktwarnungen aus. Experten halten das, was da jährlich offiziell gemeldet wird, seien es Metallsplitter im Brotaufstrich, Coli-Bakterien im Roquefort, Methanol im Wodka oder einfach nur eine fehlerhafte Deklaration, für die Spitze des Eisbergs. Manche Produzenten fürchten die Reaktion des Marktes auf eine Produktstörung, sei es die Kaufzurückhaltung des Verbrauchers oder die Auslistung im Handel, mehr als eine mögliche strafrechtliche Verfolgung.
Die Branche sagt, Lebensmittel seien heute so hochwertig, vielfältig und sicher wie nie zuvor. Tatsächlich genießen Lebensmittel bei knapp drei Vierteln der Deutschen ein hohes Vertrauen. Andersherum zeigen Studien, dass die Verbraucher den Produzenten voller Misstrauen gegenüberstehen. Branchenvertreter werden nicht müde, die Bereitschaft der Erzeuger zu Dialog und Produktionstransparenz zu beschwören. Aber so einfach ist das nicht. Der Verbraucher interessiert sich nur wenig für Analysen, Deklarationen und Evidenzen. Er sucht klare Botschaften oder Siegel und lässt sich gerne emotional von Dritten führen, weil es ihn überfordert, die ihm angebotenen Informationen selber auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. „Don’t confuse me with facts!“, kennzeichnet die Haltung vieler Verbraucher in den Zeiten alternativer Fakten. Nein, es muss sich vor allem gut anfühlen, eine Kaufentscheidung zu treffen. Das emotionale Bewusstsein braucht somit wie der Körper ein kontinuierliches Nahrungsangebot.
Im Geschäft mit Lebensmitteln ist Angst zur wichtigsten Währung geworden. Für Erzeuger hingegen, viele von ihnen mittelständische Familienbetriebe, ist Angst ein Grundzustand geworden. Von der Politik fühlen sie sich mit immer neuen Regulierungen drangsaliert, von NGOs verfolgt, vom Verbraucher geringgeschätzt und vom Handel ausgebeutet. Medien bilden da nur noch die kalte Echokammer, die das Misstrauen schürt und die Kraft hat, Existenzen zu vernichten. Alles Hysterie?
„Nach oben schau, auf Gott vertrau…“ Vielleicht gibt es eine tradiert fatalistische Grundhaltung in vielen Erzeugerbetrieben, die es verhindert, die eigene Position selbstbewusster in der Öffentlichkeit zu vertreten und die es stattdessen Verbänden überlässt, die mit dieser Dimension der Vertrauensarbeit seit Jahren schlicht überfordert sind.
Noch 2012 richtete der amtierende DLG-Präsident Carl-Albrecht Bartmer einen so verzweifelten wie eindringlichen Appell an seine Mitglieder: „Muss uns nicht alarmieren, dass dem Verbraucher so gut wie unbekannt ist, wie die Land- und Lebensmittelwirtschaft produziert? Haben wir nicht eine kommunikative Bringschuld, eines jeden Handwerksbetriebes, einer Ernährungsindustrie als Ganzes. Haben wir nicht zu lange durch mangelnde eigene Darstellung die Deutungshoheit zu Themen der Ernährungswirtschaft in die Hände der Wieners und Bodes gelegt, in die von Medien, die natürlich an Einschaltzahlen und Auflagen interessiert sind? Wird es nicht wie ein „sich Verstecken“ der Branche wahrgenommen, wenn wir Öffentlichkeitsarbeit nicht mit mehr Intensität betreiben und so dem Eindruck nicht entgegenwirken, wir hätten hinter verschlossenen Türen etwas zu verbergen?“
Tatsächlich hat sich an der Haltung der Angesprochenen in den folgenden Jahren wenig geändert. Im Gegenteil: Neue Lebensmittelkrisen, soziale Shitstorms, persönliche Bedrohungen durch „Aktivisten“ haben der Angst neue Nahrung gegeben. Die Offenheit, mit Medien zusammenzuarbeiten ist ebenso geschwunden, wie die Bereitschaft bei einem „Tag der offenen Tür“ Fremde aufs Gelände zu lassen. Wer dachte, mit Transparenz und Dialog zu neuer Wertschätzung für das anspruchsvolle Geschäft mit der Lebensmittelproduktion zu gelangen, sieht sich vor verschlossenen Türen. Von beiden Seiten wohlgemerkt. Offenbar wollen die Erzeuger nicht wahrhaben, dass das verschlossene Scheunentor der Kommunikation ihre Krise weiter verschärfen wird. Ihr Schweigen macht sie angreifbar, geringgeschätzt und zunehmend erpressbar.
Dabei wäre es gar nicht so schwer, zu neuer Verständigung und neuem Vertrauen zu finden. Die Erzeuger von Lebensmitteln müssen endlich mehr dafür tun, ihre Ethik und Zukunftsfähigkeit erkennbar zu machen. Das bedarf noch nicht einmal des Einsatzes dunkler PR-Geschütze. Vielen deutschen Produzenten – oft Familienunternehmen in der x-ten Generation – wäre es ein Leichtes, glaubhaft zu machen, dass sie einer gelebten Tradition, dem Erbe und sozialen Werten verpflichtet sind. Ihre Qualitätspraxis und die tradierten Werte des Hauses lassen sich in vielen Fällen glaubwürdig mit den Handlungsfeldern der Nachhaltigkeit verknüpfen.
Denn entscheidend für langfristige und belastbare Vertrauensbeziehungen, das zeigen Studien, ist das Vertrauen in die Ethik des produzierenden Unternehmens. Es ist an der Zeit, dass Erzeuger sichtbarer Verantwortung für die Umstände der Gewinnentstehung übernehmen. „Gute“ Unternehmen, also Unternehmen, die soziale Standards achten, umsichtig mit natürlichen Ressourcen umgehen und das Tierwohl im Blick haben, sind hier klar im Vorteil. Ihrem Produktversprechen wird leichter vertraut und sie können sogar Krisen besser bewältigen. Und das gilt nicht nur für Bio-Produzenten. Lernen von diesen kann man allerdings, dass die Gewinnung von Vertrauen, Transparenz und eine fortdauernde Anstrengung in der öffentlichen Vertrauensbildung erfordern.
Ein guter Anfang könnte darin bestehen, sich die Haltung eines Markenproduzenten zuzulegen: Diese wissen, dass sie dem Markt jeden Tag aufs Neue den Wert ihrer Marke vermitteln müssen. Dafür muss diese Marke sprechen, kämpfen und sicher auch mal Schläge einstecken. Wer diese Haltung zeigt, wird Vertrauen ernten und seinem Unternehmen ein Stück Zukunft sichern.
Im Touchpoint Interview gibt Andreas Severin Einblicke in die Welt der Lebensmittelkrisen und wie schon kleine Fehler ein Lebenswerk zerstören können. Das Video und weitere Infos finden Sie auf unserer Themenseite Krise.